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<pre> BerlinBeta? / Ulf Treger

Zur BerlinBeta?-Konferenz am vergangenen Wochenende waren Start-Ups, Venture Capitalists, Webdesigner, Architekten und Künstler unter dem Label “Kultur trift Wirtschaft” versammelt. Ein schöner Ort wurde dafür ausgesucht - das Haus der Kulturen der Welt in Berlin, besser bekannt als “schwangere Auster”. Ein bis zwei Steinwürfe von der Neuen Mitte entfernt wurde in mehreren Strängen über die Perspektiven von netz-basierter “New Economy” und dem dafür nötigen Oberflächendesign diskutiert. Dieses Design kommt im Web heutzutage oft als flackernde Flashanimation daher und hat dabei die austauschbare Plastik-Qualität herkömmlicher, schmutzabweisender Hochglanzprospekte erreicht Freundlicherweise sind die auf der Konferenz präsentierten Projekte etwas smartere Entwicklungen, und beschäftigen sich mit Problemlösungen für das Visualisieren und Organisieren von Informationen in vernetzten Umgebungen. Und diese Beschäftigung hat auch für mediale Bereiche Bedeutung, bei denen es weniger um die kommerzielle Ausbeute geht.

Unklar scheint auf den ersten Blick dennoch die Motivation der Beteiligten für diese Cross-Over-Veranstaltung zur “digitalen Konvergenz von Medien und Wirtschaft”. Die Programmgestalter scheinen den postulierten Anspruch auch nicht wirklich umsetzen zu wollen, wurde er doch mehr als inhaltliches Sammelbecken für die verschiedenen Bereiche verwendet. So ist genug Platz für eine bunte Mischung bis hin zur nicht unwichtigen Betrachtung der Wechselwirkung von Stadtplanung und globaler Kommunikation.

Die VertreterInnen des “Turbokapitalismus” konnten sich in einigen Veranstaltungen gegenseitig die Wunden lecken, die die New Economy in den letzten Monaten erlitten hat. Doch im Sinne einer “permanenten Revolution” des Kapitalismus wird auf die Depression flexibel reagiert: “Life is a Rollercoaster”. Nach mehreren Pleiten gründet ein Entrepreneur in einem neuen Versuch die Firma startupfailures.com und erklärt seinen potentiellen Leidensgenossen, wie sie sein Schicksal am besten vermeiden können. eCommerce als Abenteuer. Ein anderes Thema der BerlinBeta? mit erheblicher Relevanz für die Zukunft elektronischer Kommunikationsformen ist die Entwicklung und Gestaltung der Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine. Diese Interfaces, also die (meist) grafischen Benutzeroberflächen ermöglichen -beispielsweise auf der Ebene der Betriebssysteme - die Interaktion mit dem Computer auf einem allgemeinen, also potentiell jedermann zugänglichen Level. Dieser Level wurde in der jüngeren Computergeschichte durch die von Apple für den Massenmarkt eingeführte und später von Microsoft erfolgreich adaptierte Schreibtisch-Metapher einigermaßen erreicht. Diese Fenster-basierte Benutzeroberfläche inklusive der Steuerung durch die Maus bezieht sich in ihrer Analogie auf ein “reales” Büro, mit eben einem Schreibtisch – dem Desktop - und einer hierarchischen Organisation der gespeicherten Daten in Form von Ordnern und Dokumenten. Diese Form der Schnittstelle war letztlich deshalb so erfolgreich, weil sie den Einstieg in die abstrakte Welt der binären Logik mit einer lebensnahen Bildersprache versüßte und eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Funktionsweise, aber auch deren Funktionsvielfalt vermied. Vor der Verbreitung des Internets und damit der Erweiterung des verfügbaren Datenraums über den eigenen Rechner hinaus, war diese Oberfläche akzeptabel, trotz ihrer monokulturellen Dominanz und ihrer Auswirkung auf die Wahrnehmung des Mediums Computer. Mittlerweile stellt sie aber eine deutliche Einschränkung dar und verhindert durch ihre Anlehnung an die Atmosphäre einer staubigen Bürosituation die Nutzung des sich jetzt erschließenden Potentials einer vernetzten Umgebung. Die Softwareindustrie unternimmt mittlerweile einige, kaum mehr als kosmetische Korrekturen um den Desktop mit der Webwelt zu verbinden. Sie wird sich aber in absehbarer Zeit nicht von dem bisherigen Konzept verabschieden.

Die weitverbreiteten Webbrowser Micrososft Internet Explorer und Netscape Navigator geben auf das Web ebenfalls nur eine begeschränkte Sicht frei, bieten aber als Plattform einen gewissen Freiraum für die Entwicklung der darüber abrufbaren Websites.

Daß es aber auch ganz andere Darstellungsmöglichkeiten für die Webnavigation gibt, hat das britische Projekt I/O/D bereits 1998 mit der Entwicklung des Webstalkers (www.backspace.org/iod) gezeigt. Nach Internet-Zeitrechnung schon reichlich alt, verfügt dieses auf der BerlinBeta? vom Mitentwickler Simon Pope vorgestellte Programm noch immer über einen nicht unerheblichen Reiz. Der spröden, minimalistischen Ästhetik eines Radarschirms ähnelnd, wird der Blick auf den reinen Datenstrom aus HTML und Text freigelegt. Auf die Anzeige der eingebetteten Grafiken wird vollständig verzichtet, dafür baut sich als visuelle Information eine detaillierte Landkarte der Links und verknüpften Daten auf. Läßt man sich auf diese Darstellung ein, kann so die Vielschichtigkeit und Struktur der verknüpften Daten erforscht werden. Der Webstalker, entstanden ohne eine wirkliche finanzielle Unterstützung oder die Absicht auf Gewinnerzielung wurde mittlerweile mehr als eine 1/4 Millionen Mal aus dem Netz heruntergeladen und kürzlich bei den Webby Awards in San Francisco im Bereich Netzkunst ausgezeichnet.

Wo der Webstalker ein Schritt in die richtige Richtung darstellt, also weg vom Diktat der Bürometapher, ist er doch eher als Statement oder besser als These zu verstehen, als daß er eine wirkliche Alternative darstellen kann. Aber es ist damit gelungen, die visuelle Vorherrschaft der etablierten Browser in Frage zu stellen. Ausgehend von der Annahme, daß in den nächsten Jahren die elektronische Kommunikationstechnik sich über PC und Mobiltelefon hinweg in unseren Alltag einnisten wird, wird das Design der dafür nötigen Interfaces von zunehmender Bedeutung sein. Immerhin wird dadurch unsere Rezeptionsfähigkeit und der praktische, alltägliche Umgang mit digitaler Kommunikation durch dieses Medium beeinflußt. Diese Einschätzung teilen wohl auch die auf der BerlinBeta? anwesenden Designer und Firmengründer. Gerade letztere wissen - genauso wie die Vertreter der “Old Economy” - um die Wichtigkeit kreativer, künstlerischer Inputs für die Bewältigung dieser “Herausforderung”. Damit wäre zumindestens geklärt, was die Wirtschaft sich von solchen Veranstaltungen wie der BerlinBeta? verspricht. Noch unentdeckte und längst etablierte Design-Talente wie Pastor Erik Spiekermann haben damit offensichtlich auch kein Problem: “Schließlich geht es hier nicht darum, die Welt zu verbessern, sondern darum (möglichst viel) Geld zu verdienen.” “Rebellische Ausdrucksformen” sind höchst willkommen, solange sie sich für den gestalterischen Mainstream nutzen lassen. Simon Pope von I/O/D schien sich als einer der wenigen Anwesenden noch mit Skrupeln und grundsätzlichen Bedenken herumzuschlagen und weiß auch von der mittlerweile perfektionierten Adaptionsfähigkeit der Industrie. Subversion und Rebellion werden so zu entkernten, taktischen Mitteln zur Markeneinführung und Imageproduktion. Da nimmt es auch nicht wunder, daß andere, wie die erstaunlich einfach denkenden Creative Directors von Elephant Seven auf die kameradschaftliche Frage, wie sie sich denn bloß für die Werbung für ein so uncooles Produkt wie CocaCola? motivieren würden, nur hilflos verschämt ins Mikrofon stammeln können. Dabei hätten sie doch nur ihre Augenlider heben müssen, die dann erkennbaren Dollarzeichen in ihren Augen hätten als Antwort völlig genügt.


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