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Die kreativen Achsen der Angst

Ulf Treger. Erschienen in: Analyse + Kritik, Nr. 520, September 2007

Die Ausbreitung einer Kultur der Angst ist das gegenwärtig bedeutendste gesellschaftliche Phänomen. Nicht nur der permanente Bedrohungszustand in einem pauschalen »Gefährdungsraum« der westlichen Länder samt dramatischer Exzesse der Sicherheitspolitik ist eine Kennlinie dieser Entwicklung, sondern auch die Veränderungen in den Beschäftigung- und Sozialverhältnissen, die zu einem Zustand tiefgreifender Entsicherung führen. Eine ambivalente Rolle bei diesem sozialen Umbau spielen die Akteure einer »kreativen Klasse«, die entstehende Freiräume zu nutzen suchen und doch gleichzeitig zu einem weiteren Fortschreiten der Entwicklung beitragen. Bei einem Ereignis in Boston trafen Anfang des Jahres diese beiden Entwicklungslinien der Angstkultur aufeinander.

Zuvor hatte der Medienkonzern Turner die auf Guerilla-Marketing spezialisierte Werbeagentur Interference Inc. mit der Promotion der Zeichentrickserie »Aqua Teen Hunger Force« beauftragt. Bei Interference erinnerte man sich an die Arbeiten einer Gruppe von MedienkünstlerInnen, die kleine, mobile elektronische Graffitis entwickelt haben. Diese »LED-Throwies«, handliche, batteriebetriebene Wurfobjekte, lassen sich an Häuserwände und Brückenpfeiler anbringen und zeigen blinkende LED-Muster an. Interference baute diese Mediengraffittis in Form der einfach gezeichneten »Aqua Teen Hunger Force« Charaktere nach und beauftragte Studenten und Freelancer, diese in verschiedenen us-amerikanischen Metropolen zu verteilen. Nach zwei Wochen jedoch nimmt die Werbekampagne eine unerwartete Wendung. In Boston, Massachusetts werden diese blinkenden Zeichen als tickende Bomben überinterpretiert und lösen eine massive Reaktion der hochgerüsteten Sicherheitskräfte aus: Straßenzüge werden geräumt, U-Bahn-Linien gesperrt, die Homeland Security alarmiert und Bombenräumkommandos auf die kleinen Comicfiguren losgelassen. Vorgewärmt durch den permanenten Alarmzustand der amerikanischen Gesellschaft seit den Angriffen auf den World Trade Center, versetzt sich eine ganze Stadt ad-hoc in einen kollektiven Verteidigungszustand. Schnell aber stellt sich der eigentlich harmlose Charakter dieser medialen Bomben heraus.

Anstatt jedoch angesichts dieses Angstanfalls in eine ebenso kollektive Schamesröte zu verfallen, wird als Konsequenz ein »ritueller Exorzismus« (Dion Dennis) an den unmittelbaren Verursachern durchgeführt. Turner Broadcasting, in deren Auftrag und Wissen die Kampagne durchgeführt wurde, konnte dieser Austreibung neuzeitlicher Dämonen nicht entgegenstehen und gab die nötigen Hinweise für die Verhaftung der beiden Freelancer, die in Boston mit der Anbringung der Gadgets beauftragt waren. Ferner entschuldigte sich Turner devot mit Texteinblendungen im eigenen Sender Cartoon Network, entließ einen Manager und überwies als Opfergabe 2 Millionen Dollar an die Stadtverwaltung. Die beiden Verteiler der elektronischen Graffitis in Boston, Peter Berdovsky und Sean Stevens, wurden inhaftiert und später in einem Prozess zu gemeinnütziger Sozialarbeit verurteilt. Ihre einzige, aus juristisch-taktischen Erwägungen geprägte Einlassung zu diesem Thema bestand in einer umfassenden Entschuldigung für ihr vermeintlich schändliches Tun. Neben Ablenkungsmanövern, wie der Erläuterung der pophistorischen Bedeutung verschiedener Haartrachten, beschränkten sie sich in ihren Medienauftritten auf die Schilderung ihrer Skills als Videokünstler. Während beide für ihren Brotjob in Handschellen abgeführt wurden, und nicht die Vorstandsvorsitzenden von Turner oder Interference, nutzten sie das große Medieninteresse, um sich selbst und ihre vorrangige Berufung bekannt zu machen. Allein das Graffiti Research Lab aus New York, dessen blinkenden LED-Gadgets als Vorlage diente, distanzierte sich von der Werbekampagne und kommentierte die Ereignisse in Boston als einen weiteren Terrorangriff einer »Achse des Bösen« aus Konzernen, Werbeagenturen und Marketingfirmen, mit der ihr eigenen Form des Vandalismus, der Werbung.

In Boston kreuzten sich die zwei Tendenzen, die die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung am stärksten beeinflussen: Zum einen der überheizte Terrordiskurs der Post-9/11-Ära, samt eines sich permanent aufrüstenden Sicherheits- und Kontrollapparates, welcher in Boston aufgrund einer Irritation im Stadtbild losgelassen wurde. Dabei fand ein erprobtes Manöver seine Anwendung: Im gleichen Moment, indem eine Gefahr imaginiert wird, steht die Erlösung in Form von erweiterten juristischen, polizeilichen und kontrolltechnischen Maßnahmen bereit. Hierzulande ist dieser Terrordiskurs ebenfalls virulent und wird derzeit am radikalsten von Wolfgang Schäuble, als Bundesinnenminister traditionell oberster staatlicher Taktgeber in diesem Bereich, vorangetrieben. Seine immer drastischeren Vorschläge sind bewusst gesetzte Tabubrüche in einem durch Bedrohungsszenarien hochgejazzten Sicherheitsdiskurs. Diese medialen Provokationen werden in dieser Form vielleicht niemals realisiert, als eigentliches Ziel aber erweitern sie den Horizont des Denk- und Machbaren und öffnen den Weg für vergleichswise weniger drastisch wirkende Maßnahmen. Wieweit sich dieses Feld des Machbaren mittlerweile erstreckt und auch einen Umbau grundlegender juristischer Prinzipien bedeutet, wurde auch in Boston deutlich. Die »Terrorattacke« konnte deshalb als Straftat gewertet und verfolgt werden, weil im us-amerikanischen Bundesstaat Massachusetts nicht mehr nur die bewusste Vortäuschung von Terror – wie etwa die gezielte Platzierung einer Bombenattrappe – sanktioniert ist, sondern allein schon jede beliebige Handlung, dass sich als Terror interpretieren lässt. Oder wie es das entsprechende Gesetz in Massachusetts formuliert, stellt die Verbreitung eines jeden Objekts ein Verbrechen dar, von dem eine »vernünftige Person annehmen könnte, dass es explosiv ist.«

Die zweite Tendenz der Angstkultur ist die Veränderung der Sozialverhältnisse. Die weitaus realere Furcht vor dem Verlust von Arbeitsplatz, Einkommen und sozialer Absicherung, deren Bestandteile beständig demontiert werden, erfährt eine Überlagerung und Entwertung durch die relative Angst vor einer möglichen terroristischen Bedrohung. Gleichzeitig wird ein Setting an expliziten wie stillschweigenden Regelungen transportiert, die das eigene Verhalten reguliert. MedienarbeiterInnen, KünstlerInnen und KulturproduzentInnen stellen gewissermaßen die Avantgarde dieser zunehmenden Entsicherung und Flexibilisierung dar. Diese in den letzten Jahren immer größer werdende Gruppe wird in perspektivisch unterschiedlichen Bewertungen mal einer »kreativen Klasse«, mal dem Prekariat zugeordnet, mal romantisch als »digitale Bohème« oder schnöde als »urbane Penner« beschrieben. Während sie bewusst einer herkömmlichen fordistischen Festanstellung entsagen oder unfreiwillig aus dieser entlassen wurden, bewegen sich diese Projektarbeiter in einem Paradoxon aus Selbstregulierung und Selbstermächtigung. Diejenigen, die sich nicht von ihrer eigenen kreativen Arbeit ernähren können, verdienen sich durch Dienstleistungen und Brotjobs verschiedenster Art ihren Lebensunterhalt. Dabei dienen sie sich eben auch der vom Graffiti Research Lab kritisierten »Achse des Bösen« an. Ihre verbleibende Arbeitskraft investieren sie idealerweise in die Entwicklung eigener Kulturproduktionen und tragen so maßgeblich zu der Entwicklung von Musik, Galerie- und Klubszenen in den Metropolen und Opensource-Softwareprojekten bei. Dieses anwachsende gesellschaftliche Milieu wird zuweilen auch als modernes Äquivalent des Proletariats identifiziert und im nächsten Gedankenzug entsprechendes emanzipatorisches Potenzial zugeschrieben. Aber genauso wenig wie sich das Konstrukt Prekariat aus einer homogenen Schicht gleicher Herkunft, Bildung und Einkommen zusammensetzt, so setzt eine »kreative Klasse« durch diese Projektionen ihre eigenen Skills für die Veränderung herrschender Verhältnisse ein. Selbstmanagement und Subjektivierung sind eben nicht gerade förderliche Faktoren für die Entwicklung sozialer Organisationsformen oder für die subversive Verwendung ihrer Fähigkeiten. Im Gegenzug mag eine Abgrenzung von den als »Achse des Bösen« kritisierten Culture Industries zur Selbstpositionierung sinnvoll sein, verwischt aber die Verstrickung kultureller Akteure mit dieser Industrie.

Zu den wenigen Kulturproduzenten, die aus aus dem Sandwich-Modell aus unbezahlten Eigenaufträgen und der Verdingung als Tagelöhner ausbrechen und stattdessen ihre eigene Produktion gewinnbringend vermarkten können, gehört der englische Streetartist Banksy. Während sich in den Strassen aller größeren westlichen Metropolen seine Spuren an den Häuserwänden szeniger Stadtteile finden, lässt sich seine öffentliche Kulturproduktion scheinbar reibungslos in die weißen Würfel von Galerien und Kunstmuseen übertragen oder als Vorlagen für Werbekampagnen nutzen. Zur Not werden seine Kunstwerke samt gemauerten Hintergrund vorsichtig aus Häuserwänden heraus gemeißelt und als besonders auratische Bestandteile in seine Ausstellungen integriert. In der Rezeption bleibt seine Zuschreibung als politisch-subversiver Kommentator gesellschaftlicher Zustände bislang erhalten, weshalb sich seine Arbeiten nicht nur in den Katalogen von hochpreisigen Galerien, sondern auch auf den Weblogs von globalisierungskritischen Projekten finden lassen. Letztere schaffen es, eine notorisch selektiv-verkürzte Wahrnehmung von Kunst fortzuführen, die den Kontext von Kunstproduktion bei der Rezeption gerne ausblendet und die dargestellten Werke und deren Aussagen reflektionsfrei konsumiert. So wird die Rolle der Kunst als kontextlose Mittlerin akzeptiert, die gesellschaftliche Zustände mal irritierend, mal ironisch beschreibt, auch wenn die verwendeten politischen Sujets nur mehr als bloße Ornamentik dienen. Banksy selber, an einer Aufrechterhaltung seiner Street Creditibility interessiert, enthält sich dazu jeden Kommentars und sprayt weiterhin des nächtens und imagegemäß ohne ordnungsamtliche Genehmigung seine kleinen Ratten an die Wände und kann sich gleichzeitig über die finanziellen Erträge seiner erfolgreichen Selbstvermarktung freuen.

Berdovsky und Stevens, denen dieser kommerzielle Durchbruch bis auf weiteres nicht beschieden ist, hätten sich – nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung relativ gefahrlos – über ihre Rolle im »Boston Bomb Scare« Fall auslassen können. Ein Nachdenken darüber, warum eine Gesellschaft ihre hysterischen Reaktionen auf imaginierte Bedrohungen auslebt und was das Ganze mit der eigenen sozialen Situation als auch kulturellen Praxis zu tun hat, oder warum manche Jobs auch mal abgelehnt werden könnten, um nicht jede Form kommerzieller »Exploitation« kritik- und willenlos zu fördern, hätte ein interessanter Beitrag zum Verhältnis von selbst-prekarisierter »Avantgarde«-Kultur, der sie ausbeutenden Creative Industries und der Angstzuständen einer Gesellschaft sein können. In der Bewertung der Ereignisses in Boston blieben nicht nur die exzessive Reaktion eines aufgerüsteten Sicherheitsapparates unhinterfragt – mit der Ausnahme einer agilen Blogosphäre, die spontan und kritisch die Hintergründe kommentierte –, sondern auch das Verwertungspotential kultureller Praxen zur Gewinnmaximierung der Wirtschaft. Immerhin wissen wir jetzt von den schwer kalkulierbaren Risiken des Guerilla Marketing, der Existenz der Aqua Teen Force sowie von den beiden Videokünstlern aus Boston, die es dank eines fragwürdigen Medienspektakels ins Fernsehen geschafft haben – als Stars für 15 Minuten.


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