HazyLand/HintergrundRauschen

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Theoretisches Hintergrundrauschen - Version 0.1

Wenn wir vom Verschwinden der Stadt sprechen, meinen wir nicht unbedingt einen Rückzug des Städtischen, wenn es in Teilen auch den Anschein hat.

Zwar werden Bereiche, die traditionell der Stadtverwaltung unterstanden, privatisiert. Also tatsächlich ein Rückzug, zumindest auf konkreter Ebene - aber der ist eher ein Symptom dafür, daß die Stadt aus diesen Bereichen bereits verschwunden ist, als das Verschwinden selber. Auch die Tendenz der Verwaltung, BürgerInnen durch KundInnen zu ersetzen - also die EinwohnerInnen als Teile der Stadt zum Verschwinden zu bringen -, ist kein Symptom eines Rückzugs, sondern eher einer Überaktivität. Zugleich bringt es die BürgerInnen als Soziales Gefüge zum Verschwinden - die Referenz, an die der neue BürgerInnen-Begriff gebunden ist, ist nicht mehr die Stadt als sozialer Raum, sondern der symbolische Akt des zur Kundenbetreuung geronnenen Verwaltens.

Das Verschwinden der Stadt (und, anders betrachtet, der Politik) ist kein Mangel an Stadtpolitik, sondern deren Überpräsenz. Nicht Deregulierung ist das Thema, sondern das Wuchern der Regulierungsmechanismen. Wobei auch das nur ein Symptom ist. Ähnlich wie bestimmte Froscharten, die vom Menschen immer erst kurz vor dem Aussterben entdeckt werden, sind dies Strategien der Politik, ihren eigenen Bedeutungsverlust zu kaschieren bzw. aufzuheben.

Die Politik als Anwendung übergeordneter Prinzipien ist selber am Verschwinden. Macht findet woanders statt, sie steckt nicht in den Prinzipien und auch nicht in den Institutionen, sondern in den Algorithmen, nach denen die Wirklichkeit simuliert wird. Diese Algorithmen brauchen nicht mehr die Rückbindung an irgendetwas Reales, an eine Referenz außerhalb der Simulation, denn sie haben alles, was sie brauchen, in sich, sie sind reine Codes. Deshalb kann man sie auch nicht aus der Ebene des Konkreten heraus angreifen: Das Abstrakte verleibt sich das Konkrete ein - durch Umformulierung, durch Codierung -, auch die Kritik. Politik ohne Referenz an die Macht, Stadtplanung ohne Referenz an die Stadt, Konstruktion von Modellen, die nur gegen andere Modelle äquivalent sind (sich also nur auf der Ebene der Modelle verhandeln lassen), nicht aber gegen das, was sie repräsentieren sollen.

Desinformation durch Überinformierung: wie kann man eine Stadt besser verstecken als zwischen lauter ähnlichen Variationen derselben Stadt? Die Hyperaktivität der Stadtpolitik zeigt sich an der Vielzahl der Identitäten, die Bremen in den letzten Jahren angedichtet wurden: die Wissenschaftsstadt, der Technologiestandort, die Musicalstadt, der Touristenmagnet, das Weltraumzentrum, die angehende Kulturhauptstadt, als das nichts wurde die Kulturstadt, die Saubere, die Sichere, die Sanierungsbedürftige, die Stadt am Fluß. Hafenstadt war Bremen auch mal.

All das sind weniger Projekte als Projektionen, im doppelten Sinn: als Wunschdenken und als technisch auf eine Oberfläche geworfene Bilder. Die beiden Aspekte durchmischen sich zu technisch geworfenen Wunschbildern. Im Faulenquartier etwa werden tatsächlich Vorstellungen und Entwürfe wie Dias an eine Oberfläche geworfen, nur sind die Dias dreidimensionale Betongebilde, und die Oberfläche ist der Ort selber. Um die Analogie weiterzuführen, müssen wir uns eine Wand vorstellen, die sich nicht von vornherein als Projektionsfläche eignet, sondern erst dazu gemacht werden muß: Bilder werden abgehängt, vielleicht ein Schrank verrückt, die Blümchentapete verdeckt oder abgetragen. Bei einem Diaabend sind die Schäden begrenzt und temporär, bei einem Stadtteil sind die Transformationen komplexer. Denn alles, was nicht der Definition als Projektionsfläche entspricht, muß als "Wandbehang" relativiert (und durch diesen Definitionsakt von der Wand getrennt) werden: die eigentliche Oberfläche ist die Gesamtheit derjenigen Teilaspekte, die sich zum Projizieren eignen. Alles andere ist Mobiliar und gerät aus dem Blick, wenn die Diashow losgeht. Es kann nur noch wirklichkeitsmächtig werden, indem es selber zur Projektion wird, und nur in dem Maße, in dem es dafür codiert werden kann. Die Klammer, die zuvor den Ort als Ein- oder Gesamtheit definiert hat, wird aufgelöst, zugleich aber auf symbolischer Ebene gefestigt: Das Faulenquartier selber ist (als Begriff) ein Konstrukt, das keine Realität beschreibt, sondern eine Einheit schafft aus teils zufällig beieinander stehenden, teils erst künstlich getrennten Elementen. Ohne dieses Konstrukt zerfällt das Areal in eine Ansammlung von Baustellen, Brachen und Resten. Erst die Klammer, die symbolisch zusammenfaßt, was konkret auseinanderfällt, macht es überhaupt möglich, von diesem Areal zu sprechen und es als Projektionsfläche zu codieren. Das ist das Verschwinden der Stadt in der Simulation: Die Zeichen des Städtischen umgeben uns nach wie vor, wenn möglich sogar dichter. Aber sie haben keine Referenz am Ort mehr, und selbst wo Symbol und Ort zusammenkommen, ist die Referenz zum Ort zweitrangig gegenüber der Referenz zur Simulation. Der Ort selber tritt nur noch als Zeichen innerhalb der Grammatik der Simulation in Erscheinung.

Die Referenz als Rückbindung an eine Realität außerhalb der Simulation verschwindet also nicht einfach. Sie wird zum Teil der Simulation, die wiederum als Referenz nur ihren eigenen Code hat. Auf die Weise wuchert die Simulation über den Bereich einzelner Projektionen hinaus.

Im Zuge der Kulturhauptstadt-Bewerbung war ein Drang von Seiten der Kulturszene zu beobachten, an dieser Projektion teilzuhaben. Das ist verständlich, niemand möchte gerne außerhalb der Wirklichkeit stehen, besonders wenn die Entscheidung über unsere symbolische Wirklichkeit Auswirkungen auf die eigene konkrete Wirklichkeit hat (zum Beispiel finanzielle). Konkret war die Kulturhauptstadt-Matrix eben der Rahmen, in dem geförderte Kultur in den nächsten Jahren stattfinden würde, also mußte mensch sich diesen Rahmen zu eigen machen. Auf der konkreten Ebene ist das Einschreiben in den bestimmenden Code also eine notwendige Maßnahme, um die eigene Praxis zu erhalten. Auf der strukturellen Ebene verändert sich diese Praxis gerade dadurch. (Nur um Mißverständnissen vorzubeugen: nicht erst durch die Kulturhauptstadtbewerbung, die war in dem Sinne strukturell harmlos, daß die Neucodierung der kulturellen Wirklichkeit der Stadt bereits im Gang war.) Insofern die Referenz der Kulturprojekte eine Anbindung an eine städtische „Szene" oder ein bestimmtes Selbstverständnis war, verliert sich diese entweder ganz oder in ihrer Eigenschaft als Referenz. Die strukturelle Referenz, die Wirklichkeit, vor der das alles stattfindet, ist nun die Inszenierung im Rahmen der Projektion - selbst wenn sich sonst nichts ändert. In der Simulation kann die soziokulturelle Anbindung eines Projektes noch als Rechtfertigung bestehen, und wenn das alles geschickt formuliert wird, ergibt sich für das Projekt konkret kein Unterschied. Aber strukturell wird die Grenze zwischen Innen und Außen der Simulation weiter nach außen verschoben, wirkt auch über den konkreten Projektrahmen hinaus in andere Bereiche, etwa die Lebenssituation oder die kulturelle Praxis peripherer ProjektteilnehmerInnen hinein.

Andere Simulationen, in denen sich die Projektion von der Referenz gelöst hat:

- Radio Bremen. Es ist immer noch nicht raus, ob Radio Bremen jemals das Geld haben wird, ins Faulenquartier umzuziehen. Trotzdem werden bereits Tatsachen geschaffen. Am anderen Ende dieses Spiels wird dem Sender gar nichts anderes übrigbleiben, als die alten Standorte aufzugeben. Denn was einmal gebaut wurde, muß auch genutzt werden. Außerdem kann sich Radio Bremen jetzt schon nicht die beiden alten Orte leisten, vor dem Hintergrund einer neuen Bauruine ein erst recht nicht zu rechtfertigender Luxus. (Innerhalb der Projektion ist nicht der neue Bau der Luxus, sondern die alten im Licht des neuen.) Hier zeigt sich, wie katastrophisch die Simulation ist: Um der Krise der Senderfinanzierung zu entgehen, wird unter Beschwörung eines Katastrophenszenarios (der drohenden Pleite) eine Strategie entwickelt, die in ihren Auswirkungen noch katastrophischer ist. Bilanz: Entweder eine Bauruine im Faulenquartier und ein bankrotter Sender oder ein immer noch bankrotter Sender mit zwei Bauruinen in der Peripherie, die bestenfalls an irgendwelche Einkaufszentren verhökert werden, was die Katastrophe nach dem Hot-Potato-Prinzip (Hauptsache: loswerden) noch weiter in die Peripherie verlagert.

- Hartz IV und was auch immer die Konkurrenz zu diesem Thema vorhat. Allen Konzepten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist gemein, daß Arbeit als erstrebenswertes Gut der unwerten Nicht-Arbeit gegenübergestellt wird, und zwar weit über die finanziellen Unterschiede hinaus. Bekämpft werden soll ja nicht die ungerechte Verteilung sozialer Güter (dem wird gleich ein Riegel vorgeschoben, indem Das Geld Nicht Da Ist), sondern der Umstand, daß Millionen von Menschen von der Situation ausgeschlossen sind, diese Güter zu erwirtschaften. Die Arbeitslosigkeit wird erst durch diesen Gedankengang zum Teil des Verteilungsproblems (wenn wir die Rechnung runterkochen, heißt das: je weniger Arbeitslose es gibt, desto mehr können wir uns leisten) und zum Untergangsszenario. Die Arbeitslosenpolitik verschärft dieses Problem auf verschiedenen Ebenen: ob es mit Hartz IV mehr Arbeitslose gibt oder nicht, ist dabei irrelevant; auch ob die vorhandenen Arbeitslosen bessere Chancen zum Aufstieg haben oder nicht; am wichtigsten ist wieder mal die symbolische Ebene: Dadurch, daß Arbeitslosigkeit als Katastrophenszenario anerkannt ist, wird sie auch eins und rechtfertigt jede Katastrophe, die ihr entgegentritt.

- Die Sicherheitspolitik. Wie wenig die mit der Wirklichkeit zu tun hat, haben wir bereits früher thematisiert. Ebenso ihr Katstrophenpotential. Interessant ist, daß vor kurzem ein Kongreß zur Videoüberwachung in Bremen stattfand, in dem betont wurde, daß eine kriminalitätshemmende Wirkung der Videoüberwachung bis heute nicht nachgewiesen werden konnte. Gleichzeitig wurde in der Bürgerschaft mehr davon gefordert. Das ist kein direkter Widerspruch: Die Politik folgt dem Algorithmus der wuchernden Simulation, nach dem es immer nur mehr Sicherheitstechnologie (fast hätte ich Sicherheitstheologie geschrieben, den merk' ich mir) geben darf, nie weniger. Die Studien, auf die sich bei der Tagung bezogen wurde, finden auf einer anderen strukturellen Ebene statt. Solange es nicht gelingt, die Videoüberwachung auch strukturell zu diskreditieren (wie auch immer das aussehen mag), werden die VertreterInnen der beiden Denkschulen weiter aneinander vorbeireden.

- Die Bremer Sanierungspolitik. Auch hierzu muß ich nicht mehr viel sagen. Sowohl die Künstlichkeit als auch das Katastrophenpotential dieser Politik sind inzwischen in weiten Kreisen anerkannt, sogar in der Politik. Aber einmal in Gang gesetzt, ist der Prozeß der katastrophischen Sanierung nicht mehr zu stoppen: seine Wucherungen in immer neuen Projektionen und deren Rechtfertigung in immer neuen Katastrophenszenarien bedingen sich gegenseitig. Nicht nur, weil neue Projektionen immer wieder neue Löcher reißen, die gestopft werden müssen, sondern auch weil die Rechtfertigungsstrategien sich verfestigen und von selbst weiterentwickeln.

Was wir als Verschwinden betrachten, ist also eine Hyperaktivität in Folge eines Katastrophenszenarios (das sich an sich schon als Verschwinden thematisieren ließe), das eine umfassende Neu-Codierung der städtischen Wirklichkeit nach sich zieht, in deren Folge erst das eigentliche Verschwinden, das Restlose, die Implosion, als strukturelle Katastrophe, stattfindet. Jedes Verschwinden, das nicht diese katastrophische Sogwirkung zum Ausgangspunkt hat, wäre im Vergleich damit nur ein vorübergehendes Verlegen.


Was kann man da tun? Wir glänzen erstmal durch Abwesenheit.

An Nicht-Orten des Nicht-Tanzens unserer Abwesenheit eine Präsenz zu geben, ist ein naheliegender Schritt. Idealerweise erschaffen wir damit einen Raum der Leere, der Nicht-Verhandelbarkeit, einen Ort, an dem es nur Zeichen ODER Entziffernde gibt, Text ODER Lesende, Musik ODER Publikum, nie beides gleichzeitig. Wenn uns das gelingt, heben sich Zeichen und Rezeption gegenseitig auf und hinterlassen nicht nichts, sondern - darauf kommt es an - weniger als nichts. Denn was wir gemeinhin als Nichts wahrnehmen, untersteht immer noch der Annahme, daß da was ist, und wir bemerken's nur nicht. Erst wenn wir bemerken, was uns entgeht, entfaltet das Nichts eine Präsenz als Absenz. Es wird zur Simulation der Abwesenheit. Strukturell könnte da tatsächlich nichts sein oder auch etwas, solange es als Abwesenheit simuliert wird, ist es durch seine Abwesenheit wirklichkeitsmächtig. Schlimmstenfalls ist es „nur" Kunst, und alle finden's toll.

Zumal wir nicht wegbleiben. Mit sieben Veranstaltungen in zwei Wochen entfalten wir eine enorme Präsenz, auch wenn wir woanders sind: abwesend sind wir nicht. Indem wir unser Thema verhandeln, veröffentlichen, einem Diskurs zuführen, also von der Abwesenheit in die Anwesenheit holen, können wir gar nicht so viel verschwinden lassen, wie wir an Information produzieren. Der übliche Modus der informativen Abendveranstaltung ist, Wissen in Information zu verwandeln, zu codieren, verfügbar zu machen. Dieses Wissen wird am Ende der Veranstaltungen als Rest liegen bleiben, es läßt sich nicht auflösen.

Das ist nicht nur ein strukturelles Problem, das sich aus der Wahl der Perspektive ergibt (nach der erst in der Künstlichkeit, im Übertreffen der Simulation, die Chance einer subversiven Auflösung der Projektion zugunsten einer Freisetzung ihrer Teile liegt). Es kann auch ein konkretes Problem sein, daß einige Praktiken nur im Verborgenen wirken können und es ein Fehler wäre, den Modus oder Code dieser Praktiken zu veröffentlichen. Unmittelbar plausibel: Was passiert mit Illegalisierten, wenn alle wissen, wo sie sich wann treffen? In diesem Beispiel böte sich an, über etwas anderes zu reden, das strukturell ähnlich ist, oder dem Wissen durch ein Überangebot von Informationen entgegenzutreten. Also wiederum zu simulieren. Aber hat das dann noch die gleiche Wirkung?

Da unser Thema das Verschwinden der Stadt ist, oder besser das Verschwindende in der Stadt vor dem Hintergrund des Verschwindens des Städtischen, stehen wir vor der Entscheidung: wollen wir das Verschwinden aufhalten oder fördern? Oder müssen wir weiter differenzieren zwischen erwünschtem und unerwünschtem Verschwinden (falls das überhaupt geht)? Wir haben zwei Modi des Verschwindens: die Implosion als Folge einer Hyperaktivität und das Verstecken vor den Auswucherungen der Simulation (des Systems, der Projektion usw.). Wenn es uns gelingt, dem zweiten Modus seine Unverhandelbarkeit, seine Inkompatibilität zum System zu erhalten (und eben nicht zum Implodieren zu bringen), haben wir immerhin keinen Schaden angerichtet. Ob das überhaupt möglich ist, ohne den Gedanken an informative Veranstaltungen ganz aufzugeben, ist die Frage. Ähnlich wie der Überschuß an Information nach so einer Veranstaltung läßt sich dieser Überschuß an Zweifel, der wiederum eine Katastrophengefahr bedeutet, nicht ausräumen. Immerhin transportiert dieser Zweifel auch wieder die Möglichkeit zur theoretischen Verpuffung. Dann wäre nichts geschehen. Ist ja manchmal auch schon was.


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