KonfliktFelder

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vortrag rosa-luxemburg-stiftung, bremen, november 1999

die aktuelle entwicklung elektronischer kommunikationsformen ist keine geradlinige, vor allem ist sie nicht in dem maße steuerbar, wie es von den medienkonzernen und firmen der it-branche (informationstechnologien) mit dem ziel der hohen verwertbarkeit und urbarmachung der internet-basierten kommunikationsformen wohl gerne erwünscht wäre. die ungeordneten anfangszeiten des internet sind mittlerweile vorbei und die “mutter aller netze” hat sich, zumindestens in westeuropa und nordamerika zu einem sich progressiv entwickelnden massenmedium und vermaktungsinstrument entwickelt. dennoch ist heute, vor allem aufgrund der vorhandenen technischen entwicklungspotentiale, nur schwer abzuschätzen, welche weiteren veränderungen die kommunikationstechnologien in den nächsten jahren vollziehen werden

im folgenden soll deshalb kurz auf einige, derzeit aktuelle spannungsfelder im netz eingegangen werden, auch um sich zu vergewissern, wo ansatzpunkte für bewertung, kritik oder sogar intervention liegen können.

vor zwei jahren (1997) wurde am frauenhofer institut für integrierte schaltungen mit der entwicklung eines kompressionsalgorithmus für audiodaten begonnen. dieses verfahren wurde als MPEG audio layer 3 bezeichnet, in der kurzform heute bekannter als MP3, und ermöglicht eine verkleinerung der datenmenge um circa 1/12 gegenüber der herkömmlichen formate. zur veranschaulichung: die digitalisierung einer minute musik verschlingt ungefähr 10-12 megabyte festplattenplatz (~speichermenge von 10 disketten), die gleiche minute wird durch mp3 auf 1 megabyte reduziert (~speicher einer einzigen diskette).(siehe auch http://www.iis.fhg.de/amm/techinf/layer3/index.html)

für die heutige technik der datenfernübertragung via modem oder isdn benötigt der download von mp3-files zwar immer noch einige zeit, aber erstmals ist heute mit diesem verfahren die möglichkeit des einfachen austauschs und der massenhaften verteilung von soundfiles gegeben. jeder mensch kann mit einfachster technik und mit zugang zu datenspeichern im internet mp3-dateien erstellen und veröffentlichen. demotapes, klangexperimente und sogar komplette alben können so einem größeren publikum zugänglich gemacht werden. damit läßt sich auch der herkömmliche hauptverteilungsweg für musik über die musikindustrie mit seinen plattenfirmen, handelsketten und cd-läden umgehen. independent könnte durch die verbreitung von mp3 erstmals im wahrsten sinne des wortes funktionieren, jeder musiker, jeder soundbastler, jeder dj hat theoretisch die möglichkeit mit mp3 und dem netz die kontrolle über die distribution seiner musik zu übernehmen. mp3 ist im laufe dieses jahres durch massive medienberichterstattung bekannt geworden, seit ein paar wochen ist mp3 laut der statistiken diverser suchmaschinen der meist gesuchte begriff im internet. dies enspringt aber eher dem interesse an ohne lizenz erstellten also raubkopierten versionen von aktuellen top10-songs und stücken der bekannteren musiker. aufgrund der möglichkeiten dieses kompressions-formats und der wachsenden popularität ist die industrie freundlich ausgedrückt ängstlich und sieht die umsätze in ureigensten terrain, der perfekt organisierten, gewinnmaximierten musikverwertung gefährdet. außerdem reagieren sie, nachdem eine anfängliche trägheit überwunden werden mußte, mit einer skurilen mischung aus aggressivem frontalangriff gegen die verbreitung von mp3 und der mehr oder weniger klammheimlich stattfindenden beteiligung an mp3-websites undstart-ups. die lobbyvereinigung der branchen-riesen, die Recording Industry Association of America (RIAA) geht mit prozessen und schadensersatzklagen gegen mp3-hardware vor. kürzlich wurden die ersten drakonischen strafen gegen meist jugendliche mp3-verteiler gefällt. durch intensive pressearbeit und kampagnen wie die auf der popkomm vorgestellte “copy kills music” wird versucht, mp3 fest mit dem attribut “illegal” zu verbinden und dessen benutzung und verbreitung zu stigmatisieren. diese offensive wird flankiert durch die entwicklung eines sogenannten digitalen wasserzeichens: hardware wie mobile abspielgeräte, die modernen walkman sollen so legal gekaufte sicher identifizieren können und nur diese abspielen. angedacht sind auch pay-per-listen-systeme, bei denen sich die files nur eine begrenzt abhören und nach dem soundsovielten “nutzung” nicht mehr abspielen lassen.

diese entwicklung ist im moment sehr verworren und es ist nicht absehbar, wie diese auseinandersetzung entwickeln wird. auch wenn es der industrie günstigenfalls nicht gelingen wird einen geschützten standard global zu etablieren, so wird sie doch intensiv versuchen, um ihre einnahmequellen vor einem freien standard zu schützen. nicht zu vergeßen, daß eine nicht unerhebliche anzahl von unternehmen durch die verteilung freier mp3-sounds und durch die entwicklung diverser soft- und hardware kräftig vom mp3-hype absahnt.

letztlich wird die wirtschaft diese herausforderung gewinnen können, wenn es ihr wieder einmal gelingt ihre adaptionsfähigkeit zu verbessern und sich auf neue verteilungswege einzustellen. und wenn es nicht gelingt, eine freie verteilung von musik durch die bildung und stärkung von und durch die aushebelung von digitalen schutzmaßnahmen langfrisitig zu etablieren. letzlich geht es auch darum, “den computer in allen seinen medialen fähigkeiten genauso zu nutzen, daß man alles selber machen kann.” (sascha kösch, debug 0699)

zumindesten ist eins scheint sicher: den derzeitigen datenträger-standard für musik, die cd, wird es in spätestens fünf bis zehn jahren nicht mehr geben, hat doch die elektronische übermittlung von audio-signalen den nutzen dieses mediums vorzeitig veralten lassen.

auf zwei weitere bereiche, die gewissermaßen zusammengehören soll im folgenden nur kurz eingegangen werden:

“die in der globalisierung mündende historische phase verlangt nach immer mehr licht, immer mehr sichtbarmachung. so entseht zur zeit eine globale teleüberwachung, die sich von allen ethischen oder diplomatischen voreingenommenheiten freimacht. (...) auf die “virtuelle luftblase” der einheitsmarktwirtschaft folgt nun jene visuelle luftblase, bei welcher der gewinn an sichtbarkeit bald dieselbe multiplikatorenrolle zukommen wird wie dem gewinn bei der finanzspekulation.” (paul virilio, le monde diplomathique 10.99)

mit dem codenamen ECHELON ist ein verbund von weltweit stationierten abhör- und lauschsystemen bezeichnet. diese sind gekoppelt mit vernetzten computerfarmen mit modernster technischer ausstattung. obwohl bis heute die existenz dieses systems von der hauptbetreiberin, den vereinigten staaten und seinen assozierten partner, allen voran großbritannien, geleugnet wird, sind in den letzten jahren einige details und fakten über den umfang und die funktionsweise dieses systems an die öffentlichkeit gedrungen. so scheint sicher, daß mit ECHELON nicht nur texbasierte kommunikation wie email und fax flächendeckend angezapft wird, sondern auch zumindestens alle telefongespräche, die über die INTELSAT-satellliten abgewickelt werden, mitgeschnitten werden. da die einzelnen rechnerzentren über eine unglaubliche hardwareaustattung verfügen sollen, scheint es möglich zu sein, die zugänglich gemachten riesigen datenmengen tatsächlich auch vollständig aufzeichnen und auswerten zu können. die auswertung erfolgt dabei nach länderspezifisch entwickelten wörterbücher, in denen hits, also definierte schlüßelwörter zusammengefasst sind. scheinbar interessante gespäche oder nachrichten werden so von dem eigens für diesen zweck entwickelten KI-analysesystem MEMEX herausgefiltert aus dem datenstrom werden. über den nachrichtendienstlich relevanten ertrag dieses verbundes kann nur spekuliert werden, aber selbst wenn trotz aufwendigster technik nur datenmüll gesammelt wird, so zeigt ECHELON, daß die möglichkeiten moderner technologie sämtliche hemmungen betreffend der bürgerrechte und des datenschutzes überwinden läßt.

in der EU wird zur zeit das sogenannte ENFOPOL-papier diskutiert, welches die europaweite überwachung der daten- und telekommunikation koordinieren soll. zudem wird versucht damit die überwachung durch das ECHELON-system nachträglich in europa zu legalisieren.

die grenzen dieses systems sollte im vergangenen oktober mit dem “jam echelon day” ausgetestet werden. durch massenhaftes versenden von mails voller schlüßelwörter wollte man versuchen, das ECHELON-system zum kollabieren zu bringen. diese aktion wurde von verschiedenen im netz aktiven gruppen, die sich unter dem label “hacktivisten” einordnen, initiert – wohlwissend, daß aufgrund der geheimhaltung kaum jemals der erfolg einer solchen elektronischen widerstandsaktion zu messen sein wird. zudem war diese aktion wochenlang öffentlich angekündigt, so daß die spezialisten der nachrichtendienste rechtzeitig geeignete schutzmaßnahmen ergreifen konnten.

letzlich ging es aber den beteiligten gruppen eher darum, die existenz von ECHELON der öffentlichkeit bekannt zu machen, was ihnen aufgrund der berichterstattung in diversen online-medien gelungen ist. ein anderer versuch der poltischen aktivität im internet sind die attacken der gruppe “electronic disturbance theater” einer new yorker künstler.gruppe, die in kooperation mit zapatistischen unterstützerInnengruppen wiederholt die webserver des mexikanischen präsidenten und das amerikanischen verteidungungsministeriums blockiert haben. mit einem “virual march system” will das disturbance theater als nächsten versuch eine virtuelle demo organisieren, in deren folge die demonstrantInnen mit elektronischen parolen von webseite zu webseite ziehen will. elektronischer widerstand und hacktivismus (eine wortschöpfung aus (politischen) aktivismus und hacking) sind verschiedene versuche, politische, aktionistische ansätze im netz zu entwickeln und deren wirksamkeit auszuloten. hier lassen sich verschiedene probleme eine politischen engagements in der netzwelt anreißen. will mensch sich nicht auf den gemäßigten, an vielen punkten fragwürdigen bürgerrechts-lobbyismus einer EFF (electronic frontier foundation) beschränken, so taucht auch die frage auf, in weit sich herkömmliche aktions- und politikformen auf die elektronischen kommunikationswege übertragen lassen.

gerade das seit einem jahr in mode gekommene webseiten-cracken wird mittlerweile inflationär für die verschiedensten, fragwürdigen ziele genutzt. so wurde kürzlich die homepage der weggeputschten pakistanischen regierung opfer einer pro-putschistischen hacker-gruppe.

gleichzeitig läßt sich dieses problem optimistisch betrachtet auch als chance verstehen, neue wege entwickeln und beschreiten zu müßen, um auch in diesen neuen gebieten einen handlungsspielraum erhalten zu können.


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