TextArbeiten/Amphetamine

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(erschienen in: analyse & kritik nr 472, april 2003)

Amphetamine für die unternehmerische Stadt

"Weil die Olympischen Spiele als eine andere Realität begriffen werden, sind sie ironischerweise ideal für die Nutzung durch bestimmte Gruppen für die Durchführung ihrer Ziele geeignet. Jede Unternehmung, die als autonom und apolitisch verstanden wird - wie Kunst, Wissenschaft oder Sport -, ist effektiv als politisches Werkzeug nutzbar, wenn es subtil mit den eigentlichen Interessen verbunden werden kann." (Brian Martin)

Am 12. April 2003 wurde entschieden, welche deutsche Stadt sich für die Austragung der Olympischen Spiele im Jahre 2012 bewerben darf. Die Gewinnerin dieses nationalen Vorentscheids hat nun bis zum Frühjahr 2005 Zeit, sich gegen die internationale Konkurrenz als die ideale Stadt zu positionieren. Was aber bringt Metropolen dazu, sich mit erheblichen Aufwand für die Olympischen Spiele zu bewerben?

Olympia ist das größte nicht katastrophale Medien-Ereignis der Welt. Sein "Eigentümer" ist das Internationale Olympische Komitee (IOC), im Prinzip ein transnational agierender Konzern, dessen Vermarktung des Produkts vor allem durch die Lizenzvergabe für Fernsehübertragungen außergewöhnlich lukrativ ist. Die Spiele selber stehen weniger für "Frieden und Völkerverständigung", wie es ihr Image glauben machen soll, und auch nicht für eine breite und gemeinschaftliche sportliche Betätigung, sondern für einen Wettkampf, ausgetragen von hoch bezahlten SpitzensportlerInnen: Role Models für ein Dasein als erfolgreiche "Ich-AG". Die Bevölkerung ist dabei nur Zuschauerin, angehalten, die Sportelite als Vorbild für die eigene gesellschaftliche Fitness zu nehmen.

Ein Wettstreit anderer Art, aber ähnlich engagiert geführt und ideologisch überhöht, findet bereits im Vorfeld der Spiele statt: Die "unternehmerische Stadt", also eine Stadt, die Standortoptimierung und -vermarktung als ihr Kerngeschäft versteht, benötigt für ihre Ziele nach außen kommunizierbare Ereignisse. Je glänzender und überragender diese bewertet werden, desto optimaler sind sie für die eigene Sache einsetzbar. Dementsprechend stellt die Bewerbung für die Olympischen Spiele eine besondere Herausforderung für eine im globalen Konkurrenzkampf befindliche Metropole dar. Städtische Maxime: Image, Image, Image

In diesem Wettkampf geht es weniger um die oft vorrangig angeführte Erzielung von Reingewinnen. Solche Zahlen schrumpfen in der Regel, je näher das geplante Ereignis herannaht, und verkehren sich oft auch ins Negative, nachdem im Anschluss genauer nachgerechnet werden muss. So haben sich in Sydney nach der Durchführung der Olympischen Spiele 2000 die ursprünglich veranschlagten Ausgaben mehr als verdoppelt und eine große Lücke im städtischen Haushalt hinterlassen.

Ziel des städtischen Managements ist - entsprechend der eigenen Ideologie -, das öffentliche Image sichtbar aufzuwerten sowie ein sinnstiftendes und homogenisierendes Vehikels zur Beschleunigung der eigenen Politik zu schaffen. Diese Intention wird in zwei Abschnitten verfolgt: In der Phase der Bewerbung und Planung eines Ereignisses und in der darauf folgenden Phase der wirklichen Durchführung. Die erste Phase selbst, in der eine mediale Projektion des kommenden Ereignisses entworfen wird, ist bereits für eine Idealisierung und Dynamisierung ausreichend förderlich. In der Tendenz geht es daher immer weniger um das eigentliche Stattfinden eines Ereignisses, sondern um sein Herannahen, seine Imagination sowie die Handlungen und Notwendigkeiten, die sich daraus herleiten lassen.

Ein großer Teil des Aufwands, der für eine Bewerbung betrieben wird, fließt dementsprechend in die Produktion von Werbekampagnen, von PR-Prosa und medialer Dauerpräsenz. Allein die fünf deutschen Bewerberstädte haben dafür zusammen 30 Millionen Euro ausgegeben. Neben der tausendfachen Platzierung der Kampagnenlogos im Stadtbild, der Internetpräsenz als überregionaler PR-Plattform und der Aufstellung einer Hand voll semiprominenter "Olympiabotschafter" für den Human Touch wird die vermeintlich konkrete Ausformung des Ereignisses allein auf einer idealisierten Bildebene sichtbar gemacht. Ein digital generiertes "olympisches Ensemble" mit Stadion und olympischen Dorf wird als Riesenposter an öffentliche Gebäude gehängt oder als virtueller Rundflug auf der Website angeboten. Diese Bebilderung der architektonischen Präsentation künftiger Ereignisse lässt einen genauen Zoom auf alle Facetten nicht zu. Mit einer solchen Imageproduktion, die verstärkt auf eine abstrakte Darstellung aus der Vogelperspektive baut, wird die Schilderung von Details vermieden, die für eine neutrale, öffentliche Meinungsbildung nötig wäre. Letztlich wird mit solchen Bildern eine Stadt der Zukunft inszeniert, eine Simulation dessen, was heute als zusammenhängendes Ganzes bereits im Auflösung begriffen ist.

Die BewohnerInnen einer olympischen Stadt aber werden von diesem Spektakel in der Regel nicht viel mehr haben als ein großflächiges Bombardement mit ideologischen Bildern, die Vorfreude auf ein Großereignis nebst einer erhofften Steigerung des allgemeinen Wohlstands und eine, je nach persönlicher Situation mehr oder weniger brüchige Illusion von Gemeinschaft. Wenn es dann so weit ist, bleibt nicht viel mehr als die Konsumtion scheinbar authentischer Live-Bilder aus dem häuslichen Fernseher. Wobei es dann gleich ist, ob diese Bilder aus einem Retorten-Stadtteil um die Ecke oder von einem anderen Kontinent übertragen werden.

Am Beispiel von Hamburg als einer von fünf deutschen Bewerberstädten lässt sich die Instrumentalisierung gut beobachten: Mit der regelmäßigen Verabreichung von Amphetaminen vergleichbar, stellen Großereignisse auch hier einen elementaren Bestandteil einer Strategie dar, der eine erhebliche Dynamisierung der gegenwärtigen Politik des Hamburger Senats und eine Optimierung des wirtschaftlichen Standorts bewirken soll. Diese Strategie ist in das neu entwickelte Leitbild "Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" eingebettet, durch sie soll Hamburg "wieder zu einer wachsenden Metropole mit internationaler Ausstrahlung werden." (Das Leitbild ist im Netz abrufbar. Dieser Link und weitere Quellen: Siehe unten) Dementsprechend ist Hamburg nicht nur ein Austragungsort der Fußball-WM 2006 und empfiehlt sich als idealer Kandidat für das "Gesamtkunstwerk" Olympia: Geplant ist ebenfalls die Bewerbung als "Kulturhauptstadt Europas" 2010 und für die "Internationale Gartenbauausstellung" (IGA) 2013. Mit diesen angekündigten Ereignissen lässt sich gut die Politik für das nächste Jahrzehnt ausrichten.

Der größte Teil der olympischen Infrastruktur soll in der Hafencity platziert werden und erklärt, was unter "Gesamtkunstwerk" zu verstehen ist: In zentraler Lage zwischen Elbufer und Stadtmitte gelegen und in den Ausmaßen der jetzigen Innenstadt stellt die Hafencity das größte "Stadterweiterungsprojekt" der Stadt Hamburg dar. Hier soll durch privatwirtschaftliches Engagement in den nächsten zwei Jahrzehnten ein moderner Stadtteil aus der städteplanerischen Retorte entstehen. Allerdings stagniert das Projekt mangels williger InvestorInnen bereits in seiner Anfangsphase. Mit der Koppelung Olympia und Hafencity soll deshalb dem bislang erfolglosen Großprojekt mittels olympischem Geist neues Leben eingehaucht werden. Da mit der früher als Industriehafen genutzten, mittlerweile menschenleeren Brachfläche keine Interessen von BewohnerInnen berücksichtigt werden müssen, ist die Hafencity in doppelter Hinsicht ein "ideales Gelände".

Südlich der Elbe sehen die Bewerbungsunterlagen die Aufwertung der bislang "isolierten Stadtteile" Veddel und Wilhelmsburg durch eine enge städtebauliche Anbindung an den geplanten "olympischen Park" vor. Als Effekt ist eine gravierende sozialräumliche Umstrukturierung auf Kosten der dort beheimateten, meist weniger zahlungskräftigen Bevölkerung zu befürchten - in Barcelona beispielsweise, in den offiziellen Darstellungen Hamburgs oft als Vorbild zitiert, haben die Olympischen Spiele drastische Mieterhöhungen in den angrenzenden Stadtteilen bewirkt.

Doch von offizieller Seite wird Olympia durch die Verheißung von Aufschwung und Wohlstand propagiert. Nach altem wilhelminischen Prinzip gibt es keine Parteien mehr, sondern nur noch HamburgerInnen, die geschlossen die Bewerbung unterstützen. In dem Ausstellungsraum eines großen Hamburger Kaufhauses sind weiße Stellwände aufgebaut, auf denen in großen Lettern die Parole "Ich bin dafür" aufgedruckt ist. Drumherum dürfen die BürgerInnen mit dicken Eddingstiften ihre Blankounterschrift zur Bewerbung geben. Angehübscht ist diese Unterschriftensammlung durch eine dezent beleuchtete Bildwand mit digitalen Bildern geplanter olympischer Stätten. Irgendein Hinweis auf Konzept und Finanzierung der geplanten Spiele ist dagegen nicht zu finden; allein Werbeflyer für olympisches Merchandising wie Fahnen, T-Shirts und Feuerzeuge mit dem Slogan "Feuer und Flamme für Hamburg 2012" liegen aus.

So pauschal und inhaltslos die Zustimmung der Bevölkerung eingeholt wird, so sehr ist anzunehmen, dass sie als Persilschein für negative Maßnahmen genutzt werden wird, die ansonsten für sich nur schwer durchsetzbar wären. Dann wird eine mittlerweile erprobte Palette an repressiven Maßnahmen mit dem Ziel der weiteren Befriedung und "Verschönerung" der Stadt verstärkt Anwendung finden.

In diesem Rahmen ist es für die Regierung zweitrangig, ob die Bewerberstadt wirklich zur olympischen Stadt auserkoren wird. Einen Tag nach dem Olympia-Aus verkündete Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, dass sich Hamburg trotz dieser Schlappe künftig verstärkt auf die Aquise von Events konzentrieren wird. Die gescheiterte Olympia-Bewerbung lässt sich so als Training verbuchen, für die weiteren Ereignisse, die da kommen mögen. Imageproduktion: anfällig für Störungen

Um negative Aspekte wie Verdrängungsprozesse auf der einen und Unwillen oder gar Widerstand der StadtbewohnerInnen auf der anderen Seite so weit wie möglich zu überstrahlen, ist eine positive mediale Präsenz notwendig. Symbolische und repräsentative Projekte jedoch lassen sich leichter durch Imagebeschmutzung irritieren, als eine alltägliche, meist eher versteckt stattfindende Politik der Ausgrenzung und des Abbaus sozialer Netzwerke. Durch die Bewerbung ergibt sich deshalb eine Hypersensibiltät und Anfälligkeit für Störungen jeder Art, die durch eine kritische Bewegung gegen die gegenwärtige städtische Politik genutzt werden kann.

Eine solche Anti-Image-Kampagne kann die Spiele als Symbol und Motor einer neoliberalen, in ihrer Tendenz (siehe die Migrationspolitik) menschenfeindlichen Stadtpolitik kenntlich machen. Diese Mechanismen greifen jedoch nicht nur hier, also lokal begrenzt, sondern kommen überall zum Tragen. Ein vermeintlich kritischer Lokalpatriotismus des "Nicht in unserer Stadt/unserem Stadtteil" - ein ohnehin eher fragwürdiges politisches Reaktionsmuster - würde daher zu kurz greifen. Um das aufwendig produzierte städtische Image nachhaltig zu dekonstruieren und damit eine breite Kritik am städtischen Unternehmen zu etablieren, ist zudem die taktische Erprobung und kreative Anwendung der verschiedensten medialen wie konkreten Methoden nötig.

Diesem Ansatz entsprechend, ist kürzlich eine Superheldin namens "SuperNOlympika?" erstmals an verschiedenen Stellen Hamburgs aufgetaucht und hat sich als Galionsfigur einer künftigen Anti-Olympia-Kampagne empfohlen: "Ich, SuperNOlympika?, bin gekommen, um euch zu warnen: Sie versprechen euch Raum und Spiele und dass das Spektakel euren Wohlstand vermehre. Nichts davon ist wahr! Sie werden riesige Gebäude errichten, doch ihre Stadt wird eine Wüste sein. Sie werden auf dem Platz ihrer eigenen leeren Versprechungen stehen. Es wird sich herausstellen, dass sich nichts herausstellt."

Ulf Treger

Weiterführende Links und Quellen zu diesem Text sind im Web unter der Adresse http://ready2capture.dekoder.de abrufbar.


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